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„Wenn Oberkochen ein Wallfahrtsort wäre …“

   13. Mai 2005
VGH Mannheim: Kein Anspruch auf barrierefreien Zugang zum Bahnsteig
Mannheim / Oberkochen. Der 5. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim Baden-Württemberg hat die Verbandsklage des Bundesverbandes für Körper- und Mehrfachbehinderte e.V. und des Bundesverbandes Selbsthilfe Körperbehinderter e.V. abgewiesen.

Auslöser der Klage war die geplante Neugestaltung des Bahnhofs Oberkochen (Ostalbkreis). Bislang konnte der Mittelbahnsteig oberirdisch durch Überqueren des Gleises erreicht werden. Künftig ist am Bahnhofsgebäude für Rollstuhlfahrer und andere mobilitätsbehinderte Menschen Endstation. Der Bahnsteig ist künftig nur noch durch eine Fußgängerunterführung mit Treppen erreichbar. Ein Aufzug oder eine Rampe wird nicht gebaut, da nach Angaben der Bahn der Bahnhof von weniger als 1.000 Reisenden täglich genutzt wird.

Die Verschlechterung verstößt nach Auffassung der Verbände gegen das seit drei Jahren geltende Behindertengleichstellungsgesetz. Kernstück ist die Schaffung eines umfassenden barrierefreien Lebensraumes. Die geänderte Eisenbahn-Bau-und Betriebsordnung schreibt vor, dass die Benutzung der Bahnanlagen durch behinderte und alte Menschen sowie Kinder und sonstige mobilitätsbehinderte Menschen „ohne besondere Erschwernis ermöglicht wird.“ Die Eisenbahnen werden verpflichtet, Programm mit dem Ziel „einer möglichst weitreichenden Barrierefreiheit“ aufzustellen. Nach dem Urteil des VGH regle die Verordnung nicht den Zugang zum Bahnsteig. Die Bahn sei nur verpflichtet, die Belange behinderter Menschen abzuwägen. Ob die Abwägung der Bahn im vorliegenden Fall rechtmäßig erfolgt sei, könne das Gericht aufgrund des eingeschränkten Anwendungsbereiches der Verbandsklage nicht prüfen. Da die Entscheidung auf ähnliche Projekte – allein im Bereich der Brenzbahn stehen weitere Bahnhöfe wie z.B. Niederstotzingen zum Umbau an – hat der VGH Revision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen (Az: 5 S 1410/04 und 5 S 1423/04).

In der mündlichen Verhandlung hieß es, wenn Oberkochen ein Wallfahrtsort wäre, wäre die Stadt ein begehrtes Reiseziel für behinderte Menschen. Eine solche örtliche Besonderheit hätte die Bahn vermutlich goutiert und den Zugang zum Bahnsteig barrierefrei gestaltet – selbst wenn die interne Vorgabe von 1.000 Reisenden täglich nicht erreicht wäre.

„Dass in heutiger Zeit der Bau von Barrieren rechtmäßig sein soll“, ist für Jutta Pagel, Geschäftsführerin des Landesverbandes für Körper- und Mehrfachbehinderte Baden-Württemberg e.V., nicht zu akzeptieren. Damit würden gehbehinderte Menschen und Rollstuhlfahrer aufgrund ihrer Behinderung an der gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gehindert. Sie verweist zudem auf die stetig wachsende Zahl älterer Menschen. Die Verbände prüfen derzeit, ob sie Revision einlegen. Auf jeden Fall, so Pagel, kämpfen die Verbände weiter für Barrierefreiheit bei Bahnhöfen und Bahnsteigen. Sollte die Verbandsklage nicht zielführend sein, fordern die Verbände bereits heute eine Nachbesserung durch den Gesetzgeber.

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