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Dringend gesucht: Kurzzeitplätze für Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit Behinderungen | |
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Stuttgart, 17.07.2024 – Pflegende Angehörige von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit schweren Behinderungen sind am Limit – und darüberhinaus. Sie fühlen sich in nahezu komplett allein gelassen. Dringend benötigte Kurzzeitplätze gibt es kaum und die wenigen sind oft weit weg vom Wohnort. Vor allem für junge Menschen mit schweren Behinderungen und hohem Pflege- und Unterstützungsbedarf fehlen Kurzzeitangebote. Das ist ein Ergebnis einer Online-Umfrage des Landesverbandes für Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderung Baden-Württemberg (LVKM) zur Familiensituation. Bei einem Fachtag in der Sparkassenakademie Baden-Württemberg wurden gestern die Ergebnisse vorgestellt und gemeinsam mit allen Beteiligten – Familien, Leistungserbringern, Stadt- und Landkreise sowie dem Landessozialministerium – nach Lösungen gesucht. Die Zeit drängt. „Eile ist geboten und wohnortnahe Entlastungsangebote schaffen!“ „Eile ist geboten“, so LVKM-Vorsitzender Thomas Seyfarth bei der Begrüßung der über 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. „Investitionen in Kurzzeitplätze bringt einen Mehrwert für alle“, so sein Appell. „Die Lücken in der Daseinsvorsorge müssen geschlossen werden“, ergänzte die Landesbehindertenbeauftragte und Schirmherrin des Fachtags, Simone Fischer, in ihrem Grußwort. Die Familien bräuchten dringend Unterstützung. „Antrag stellen, begründen, rechtfertigen, kämpfen für die Rechte im Alltag, sich zurechtfinden im Dickicht der Zuständigkeiten, weite Wege zu einem Kurzzeitplatz in Kauf nehmen – das alles ist unzumutbar.“ Fischer verwies auf die UN-Behindertenrechtskonvention und das Ziel des Bundesteilhabegesetzes. „Entlastungsangebote sind kein Gnadenakt sondern eine Verpflichtung.“ Bürokratische Hürden müssten abgebaut werden und einzelne Kreisgrenzen überwunden werden hin zu mehr regionalen Angebote. Gemeinsam mit allen Beteiligten könne man Veränderungen bewirken. Landesvorsitzender Thomas Seyfarth eröffnet den landesweiten Fachtag „Kurzzeit“ und begrüßt die Gäste.
„Wir sind erschöpft und brauchen Hilfe – jetzt!“ „Wir sind erschöpft. Es muss Schluss sein mit Vertrösten. Wir brauchen Hilfe – jetzt“, beschrieben pflegende Mütter ihre Situation. „Wir sind die Randgruppe der Randgruppe. Wir sind unsichtbar, weil wir keine Kraft haben, auf der Straße lautstark zu demonstrieren.“ Die Stuttgarterin Christel Kreß ist alleinerziehend, pflegt ihre 20-jährige schwerstbehinderte Tochter Emma seit Geburt und ist deshalb Bürgergeldempfängerin. „Ich kann nicht vorsorgen fürs Alter. Ich bin 24/7 in stand-by. Um meine Akkus aufladen zu können, möchte ich gerne eine 3-wöchige Mutterkur machen. Doch wer versorgt in der Zeit meine schwerstbehinderte Tochter? Einen Kurzzeitplatz muss ich ein Jahr vorher buchen, aber wer garantiert mir, dass das auch mit dem eigenen Reha-Termin zusammenpasst?“ Die Esslingerin Ursula Hofmann, Vorsitzende des Vereins Rückenwind, ergänzt: „viele Familien mit einem schwerstbehinderten Kind leben nur noch für das Kind. Sie haben keinen normalen Alltag mehr, befinden sich in der sozialen Isolation. Freunde ziehen sich zurück. Wenn man drei Mal eine Verabredung absagt, fragt niemand ein viertes Mal.“ „Es ist ein Teufelskreis“, bestätigt Petra Nicklas aus Tamm, Vorsitzende des Ludwigsburger Vereins Gemeinsam. „Die ganze Familie ist betroffen. Väter sind das Backup – und leiden im Stillen. Es läuft nichts spontan. Die Familien mit schwerst behinderten Kindern sind nicht sichtbar. Zeit, dass sich was ändert!“ Stellvertretend für viele pflegende Mütter fordern die drei Frauen mehr stationäre Kurzzeitangebote. Wir brauchen jemand, der sagt, wir sind zuständig. Familien brauchen das Bekenntnis, ja ihr gehört zu uns. Wir lieben unsere Kinder und wir wollen für unsere Kinder ein gutes Leben.“ Über 100 Gäste aus dem ganzen Land sind nach Stuttgart gekommen. Mit dabei u.a. Eltern behinderter Kinder, Vertreter von Leistungserbringern, dem Landessozialministerium sowie Stadt- und Landkreisen.
„Die pflegenden Eltern sind am Limit.“ Nur durch Unterstützung von außen schaffen die Familien den Alltag. „Die pflegenden Familien sind am Limit. Parodox: je höher der Pflegegrad des Kindes ist, desto weniger Entlastungsangebote gibt es“, berichtete Anna Lammer, Leiterin der Landesstelle Baden-Württemberg am Hospiz Stuttgart. „Eltern brauchen wohnortnahe Entlastung, die den regionalen Bedarf decken, unbürokratische Hilfe, Angebote für Menschen mit hohem Pflegebedarf, Recht auf Teilhabe und mehr Solidarität.“ Jede Familie sei individuell und daher brauche es vielfältige Entlastungsangebote. Für Familien mit einem Kind mit einer lebensverkürzenden Erkrankung ist das Kinder- und Jugendhospiz in Stuttgart eine gute Adresse. Leiterin Michaela Müller stellte das Angebot vor, das jungen Erwachsenen bis zum vollendeten 27. Lebensjahr offen steht. „Sichtbar werden - sichtbar sein: Familien melden sich zu Wort“ Gesprächsrunde mit Müttern behinderter Kinder: Christel Kreß (Stuttgart), Ursula Hofmann (Esslingen), Moderator Uwe Kaiser, Petra Nicklas (Tamm)
Umfrage zeigt: in fast 60 Prozent der Familien leben Kinder mit komplexen Bedarfen Die im Frühjahr durchgeführte Online-Umfrage zur Familienentlastung traf den Nerv der Familien. 2.117 Mal wurde die Umfrage beantwortet. Erstmals gab es eine so umfassende Befragung. In den Schulferien, vor allem in den Sommerferien, sind Kurzzeitplätze besonders gefragt. Doch um einen der wenigen begehrten Plätze zu bekommen, ist eine monatelange Voranmeldung erforderlich. LVKM-Jutta Pagel-Steidl ging bei der Vorstellung der Ergebnisse noch auf einen weitere Besonderheit: in fast 60 Prozent der Familien lebe ein Kind mit Behinderung mit einem Grad der Behinderung von 100 sowie einem Pflegegrad von 4 oder 5, „während dies in den offiziellen Schwerbehindertenstatistik und der Statistik zur Pflege eher eine Randnotiz ist“. Vielfach haben Familien auch erlebt, dass die Aufnahme ihres Kindes in einem Kurzzeitangebot abgelehnt wurde. Gründe hierfür waren vor allem fehlende Plätze, fehlendes Personal, zu hoher medizisch-pflegerischer Aufwand oder konzeptionell keine Nachtwache vorhanden. „Die Umfrage macht Bedarfe sichtbar. Es muss ein Umdenken stattfinden, um die vorhandenen Versorgungslücken gemeinsam zu schließen.“ „Stationäre Kurzzeitunterbringung - aus der Sicht von Leistungserbringern“ Gesprächsrunde mit Brigitte Göltz (Wohnanlage Fasanenhof Stuttgart), Philipp Deininger (Reha Südwest Karlsruhe), Karin Eckstein und Arne Eiwen (Familienherberge Lebensweg Illingen), Moderator Uwe Kaiser
„Überbordende Bürokratie und keine verlässliche Finanzierung.“ „Behörden sollen nicht Verhinderer sondern Ermöglicher für Kinder mit schweren Behinderungen werden“, wünschte sich Philipp Deininger, Regionalleitung Wohnen und ambulante Dienste der Reha Südwest in Karlsruhe, und erhielt dafür viel Applaus. Seit 30 Jahren bietet Reha Südwest Kurzzeitplätze für Kinder, Jugendliche und Erwachsene an. Das kombinierte Angebot hat sich bewährt – und steht aufgrund von Gesetzesänderungen derzeit auf dem Prüfstand. Ähnlich geht es auch anderen Leistungserbringern. Überbordende Bürokratie, gesplittete Zuständigkeiten, nicht verlässliche Finanzierung sind aus Sicht der Leistungserbringer Barrieren im Alltag. „Ermessenspielräume sollten genutzt werden. Wir brauchen mehr Selbstverständlichkeiten, mehr Vertrauen. Wir sind fachlich gut drauf und hoch motiviert, den Famlien Entlastung zu bieten.“ „Stationäre Kurzzeitunterbringung - aus der Sicht von Leistungsträgern“ Gesprächsrunde mit Dorothee Haug-von Schnakenburg (Rems-Murr-Kreis), Mathias Braun (KJVS-Landesjugendamt), Gabriele Hörmle (Kommunalverband für Jugend und Soziales), Moderator Uwe Kaiser
Der Fachtag richte den Fokus auf die Problemlage, so Walter Böttiger vom Landessozialministerium. Die Umfrage zeige, dass allein die Forderung nach mehr Kurzzeitangebote zu kurz greife, denn es brauche ein bedarfsgenaues qualitatitives Angebot. Er appellierte an alle, miteinander im Dialog zu sein, um Lösungen zu finden. Er stellte klar, dass die Stadt- und Landkreise für die Eingliederungshilfe zuständig seien und daher auch Kurzzeitangebote ermöglichen müssen. „Ziel der Eingliederungshilfe ist es, bestehende Teilhabebeeinträchtigungen abzubauen.“ Solitäre Kurzzeitangebote wirtschaftlich zu betreiben, sei schwierig, sind die Vertreterinnen der Stadt- und Landkreise überzeugt. Dorothee Haug-von Schnakenburg, Sozialplanerin im Rems-Murr-Kreis, verwies auf die „katastrophale Datenlage“. Unstrittig sei, dass der Landkreis zuständig sei. Sie sei davon überzeugt, dass reine Rechenbeispiele nicht ausreichen, um den Bedarf zu ermitteln, da viele Faktoren zu berücksichtigen seien. Sie bestätigte auch im Rems-Murr-Kreis ein hoher Zuwachs der unter 65-jährigen Menschen in Pflegegrad 4 oder 5. „Sozialplanung geht nur gemeinsam mit allen.“ Und wie sieht es mit dem Gerücht aus, dass Minderjährige und Volljährige nicht zeitgleich in einem Kurzzeitangebot sein können? „Da ist nichts dran“, so Mathias Braun vom Landesjugendamt. „Es gibt keine rechtliche Vorgabe, die das verbietet.“ Allerdings müssen die ordnungsrechtlichen Vorgaben in Bezug auf Personal, Räume, Gruppengröße und pädagogischem Konzept erfüllt sein. Der Fachtag kam zur richtigen Zeit, um alle Beteiligten zusammenzubringen und einen Impuls zu geben, gemeinsam Lösungen zu finden, denn: „die Hütte brennt.“ Info | |
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