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„… so wollen wir wohnen!“ oder: „Wohnen heißt zuhause sein!“ | |
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Stuttgart, 18.09.2013 - „Wohnen inklusive“ lautet das Leitbild der UN-Behindertenrechtskonvention. Sie stärkt die Rechte behinderter Menschen. Demnach bestimmen Menschen mit Behinderung selbst, wie, wo und mit wem sie wohnen wollen. Doch im Alltag sind dazu noch viele Hürden zu überwinden. »Wohnen heißt zuhause sein.« - Jeder Wohntraum sieht anders aus.
„Es ist gar nicht so leicht, die richtige Wohnform zu finden.“„Es ist gar nicht so leicht, die richtige Wohnform zu finden“, hat Monika Schmuck aus Stuttgart erlebt. Über zwei Jahre dauerte die Wohnungssuche der jungen Frau im Rollstuhl. Freimütig berichtet sie von teils kontroversen Diskussionen mit ihren Eltern, als sie erklärte, zuhause ausziehen zu wollen. „Ich hatte meine eigenen Ideen sowie mehrere Angebote, die ich teilweise auch ausprobiert habe. Das Wohnheim hat aber die Versprechungen nicht eingelöst. Das hat einfach nicht gepasst.“ Und so suchte sie weiter. Inzwischen lebt sie seit einigen Jahren in einer eigenen kleinen Wohnung und wird ambulant betreut vom Körperbehinderten-Verein Stuttgart. Ihr Beispiel macht Mut: „Meine Eltern haben vor vielen Jahren gemeinsam mit anderen Eltern im Verein für den Aufbau der Schule für Körperbehinderte gekämpft. Ich konnte selbst für meine Wohnung kämpfen. Es lohnt sich, zu kämpfen“, sagt Monika Schmuck. Auch Ulrich Schütze aus Stuttgart hat lange gesucht. „Damit ich gut leben kann, gehört mehr dazu als nur eine gute Pflege. Ich brauche Assistenz, um am Leben in der Gemeinschaft teilnehmen zu können und kommuniziere mit meiner BLISS-Tafel. Ich will aber auch selbst entscheiden, wann ich am Abend ins Bett gehe.“ Seine Eltern hatten große Sorge, ob ihr Sohn ambulant betreut in einer Wohngemeinschaft leben kann. Inzwischen wissen sie, dass die notwendige Betreuung und Pflege gesichert ist und sich ihr Sohn rundum wohl fühlt. „Kämpfen lohnt sich.“ Das sieht auch Irene Betz aus Mannheim so. Nachdem ihre nicht behinderten Kinder aus dem Elternhaus ausgezogen sind, war für sie klar, dass irgendwann auch ihr behinderte Sohn Ralf ausziehen sollte. Sie räumt aber freimütig ein: „Wir Eltern haben unserem Sohn den Umzug in eine betreute Wohnform schmackhaft gemacht.“ Selbstbestimmung oder Fremdbestimmung? Ralf hat nur eine schwer verständliche Sprache.“ Menschen mit Behinderung können sich in bestimmten Fällen nur schwer entscheiden, ob sie die gestellte Frage mit Ja oder Nein beantworten. Es kommt oft auf die jeweilige Formulierung der Frage an“, weiß Irene Betz. Den Eltern komme daher eine besondere Verantwortung zu, wenn sie für ihre Kinder entscheiden. Sie empfiehlt anderen Familien, die in einer ähnlichen Lebenssituation, genügend Zeit für die Suche nach der geeigneten Wohnform zu nehmen. „Es ist wichtig, Einrichtungen anzuschauen. Dabei spielt nicht nur das Haus und seine Umgebung eine Rolle. Ganz wichtig ist, ob der Geist des Hauses passt. Es kommt nicht darauf an, dass das Leitbild toll im Foyer präsentiert wird. Es muss gelebt werden. Fachlichkeit, Herz und Verstand müssen spürbar sein.“ Inzwischen lebt Ralf seit elf Jahren im Werner-Hülstrunk-Haus in Mannheim. Er fühlt sich wohl. „Wohnen heißt zuhause sein!“ Er arbeitet in einer Werkstatt und in seiner Freizeit pflegt er seine Hobbys. Da entstehen dann auch „Wickel-Dinger“, die die Teilnehmer in einer Kunstausstellung während der Tagung bestaunen konnten. „Wenn Du zuhause bleiben willst, zieh‘ um!“„Wenn Du zuhause bleiben willst, zieh‘ um!“ Das klingt provozierend. Margret Oelhoff aus Ettenheim erzählt, wie die Bürgerstiftung Ettenheim das Laufen lernte und heute mitten in der Stadt passgenau betreute Wohnformen für Menschen mit Behinderung und Senioren anbietet. „Die Grundidee war einfach: Menschen mit Behinderung sollen mitten in der Gemeinde ihren Platz haben, sich wohl fühlen und am Gemeindeleben teilnehmen können.“ Aus ihrer langjährigen Erfahrung in der Selbsthilfearbeit weiß sie, wie wichtig es ist, frühzeitig über die richtige Wohnform nachzudenken. „Wer diese Frage auf die lange Bank schiebt, läuft Gefahr, einen Platz in einer betreuten Wohnform zu finden, die nicht zur eigenen Person passt. Was ist, wenn die Eltern die Pflege ihres behinderten Kindes nicht mehr übernehmen können und quasi über Nacht eine außerfamiliäre Betreuung gefunden werden muss?“ Es ist nie einfach, den richtigen Zeitpunkt zu finden. Dies bestätigt auch Reinhold Scharpf, Geschäftsführer des Körperbehindertenvereins Allgäu. „Wohnen wie andere – unterstütztes Wohnen in einer Hausgemeinschaft“ heißt das Konzept, das in Kempten umgesetzt wird. Unabhängig vom Umfang des Unterstützungsbedarfes leben Menschen mit Behinderung in unterschiedlichen Wohnformen unter einem Dach. Rund um die Uhr stehen bedarfsgerechte individuelle Hilfen bereit. „Die Finanzierung der Hilfen hat sich nach dem Bedarf der Menschen zu richten und nicht nach der Einrichtung mit ambulanter oder stationärer Struktur“, so Scharpf. „Daran müssen wir weiter arbeiten.“ „Inklusion für alle? Wie geht das?“„Inklusion für alle? Oder ist Inklusion nur was für Menschen mit Behinderung, die sich anpassen können, die der Norm entsprechen?“ Viele Mütter sprachen offen ihre Sorgen und Ängste an. Sie befürchten, dass Menschen mit Behinderung, die nicht selbstbestimmt in einer eigenen Wohnung leben können, ausgegrenzt werden. Wird über ihre Köpfe hinweg entschieden, weil sie sich nicht selbst lautstark und gewandt in die Debatte einmischen können? Wolfgang Waldmüller, Geschäftsführer des Wiener „Haus der Barmherzigkeit (HABIT) stellte daher neue Wohn- und Betreuungskonzepte für Menschen mit basalem Unterstützungsbedarf vor. Multiprofessionelle Teams aus Pädagogik und Pflege betreuen Menschen mit schweren Behinderungen ganzheitlich in unterschiedlichen Wohnformen. Gemeinsam wurden spezielle Betreuungskonzepte entwickelt, in denen Unterstützte Kommunikation fester Bestandteil ist. Zudem gibt es eine enge Kooperation mit niedergelassenen Ärzten. „Solche ausdifferenzierte gemeindenahe Wohnangebote sind möglich, wenn es günstigen barrierefreien Wohnraum gibt“, so Waldmüller. In Wien ist dies wesentlich leichter möglich als in den ländlichen Regionen Österreichs. „Wichtig ist die personenzentrierte bedarfsgerechte Hilfe und deren Finanzierung.“ Waldmüller fordert außerdem, die Bereitstellung von Wohnraum und die Bereitstellung der Betreuungsdienstleistungen zu trennen. „Wir brauchen an erster Stelle Menschen mit Sensibilität und Herz, gepaart mit extrem hoher Fachlichkeit für die medizinisch-pädagogischen Bedürfnisse der Menschen mit schwersten Behinderungen, eine spezielle räumliche Infrastruktur und das alles rund um die Uhr und an 365 Tagen im Jahr“, sagt Dr. Friedemann Lindmayer. Der Facharzt für Kinderheilkunde leitet ein sozialpädagogisches Wohnheim für Kinder und Jugendliche mit Mehrfachbehinderung, das von Reha Südwest getragen wird. „Manchmal geht es einfach nur ums überleben, beispielsweise wenn ein Kind in Atemnot gerät.“ In dem Wohnheim leben 28 Kinder und Jugendliche in vier Gruppen. Sie fühlen sich wohl. Sie zeigen dies beispielsweise, indem sie vor Freude lautstark „quietschen“ oder die Atmung ruhiger ist. „Was derzeit fehlt, sind geeignete Betreuungsplätze für Erwachsene“, sagt Dr. Lindmayer. „Das ist für Eltern eine große Sorge.“ „Wohnen wie ich will, wo ich will und mit wem ich will!“Die UN-Behindertenrechtskonvention stärkt die Rechte behinderter Menschen. „Es geht um gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft“, sagt Rechtsanwalt Andreas Conrad aus Trier, der zugleich auch Vorstandsmitglied des Bundesverbandes für körper- und mehrfachbehinderte Menschen ist. Im Alltag regeln Sozialgesetzbücher die konkreten Ansprüche. „Menschen mit Behinderung können ihre Wohnform frei wählen, entscheiden, ob sie alleine oder in Gemeinschaft leben wollen.“ Conrad macht Mut, das Wunsch- und Wahlrecht einzufordern und wenn es sein muss, auch auf dem Rechtsweg zu erkämpfen. „Der Mehrkostenvorbehalt, den die Behörden oft geltend machen, ist nicht haltbar. Man muss immer den Einzelfall anschauen und prüfen, was zumutbar ist. Niemand darf gegen seinen Willen zu einem Umzug gezwungen werden. Niemand darf gegen seinen Willen in ein Pflegeheim eingewiesen werden.“ Conrad setzt auf persönliche Assistenz. Ein sog. Casemanagement hilft Menschen mit Behinderung bei der Organisation im Alltag. Seine weitere Forderungen: „Einkommens- und vermögensunabhängige Gewährung der gewünschten und notwendigen Leistungen, Herausnahme der Eingliederungshilfe und der Hilfe zur Pflege aus der Sozialhilfe.“ Dem stimmt Antonio Florio aus Tamm zu. „Assistenz ist kein Luxus sondern ein Nachteilsausgleich. Behindert sein ist keine freue Entscheidung.“ Florio ist Vorsitzender des Vereins „Selbstbestimmt Leben im Landkreis Ludwigsburg“ und organisiert seine Hilfe im sog. Arbeitgebermodell. Ausführlich schilderte er in einem Forum den beschwerlichen Weg, bis er das persönliche Budget erhalten hat. „Meine Vorstellung vom Leben war und ist nicht anders als bei Menschen ohne Behinderung. Heute kann ich mein Leben so gestalten, wie ich es will.“ | |
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