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Inklusion = Utopie - Faktencheck vor der Landtagswahl 2011

   24. Februar 2011
 

Ludwigsburg. Noch wenige Wochen bis zur Wahl. Die Spannung wächst. Das Interesse auch. Zu einer Wahlveranstaltung hatte der Verein Selbstbestimmt Leben im Landkreis Ludwigsburg am 16. Februar in das Staatsarchiv eingeladen. Das Besondere: das Staatsarchiv ist barrierefrei. Gebärdendolmetscherinnen übersetzten die spannende Diskussion in Gebärdensprache. Und „als Experten in eigener Sache“ stellten Menschen mit Behinderungen alltägliche Barrieren vor. Der Diskussion stellten sich die Landtagskandidaten von CDU, SPD, FDP, GRÜNE und der LINKEN im Wahlkreis Ludwigsburg.

Jutta Pagel-Steidl, Geschäftsführerin des Landesverbandes für Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderung, stellte die UN-Behindertenrechtskonvention in Leichter Sprache vor. Sie formuliert unmissverständlich den Anspruch auf die selbstverständliche Teilhabe von Menschen mit Behinderung in allen Lebensbereichen. Mit einem Wort: Inklusion. Wie sehr die uneingeschränkte Teilhabe an der Bildung, beim Wohnen und bei der Freizeitgestaltung für die Menschen mit Behinderung wichtig ist, zeigte sich schon allein bei der großen Gästezahl. Der Vortragssaal im Staatsarchiv war bis auf den letzten Platz gefüllt. Von Tübingen bis Geislingen / Steige kamen die Gäste voller Erwartung nach Ludwigsburg, darunter auch viele gehörlose Menschen. Für sie war eine der ganz, ganz seltenen Veranstaltungen zur Landtagswahl, die von Gebärdendolmetschern begleitet wurde. 2 ½ Stunden drehte sich alles, wie Menschen mit Behinderung im Alltag besser unterstützt werden können: wie kann der gemeinsame Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderung umgesetzt werden? Wie geht es mit den Sonderschulen weiter? Können Eltern behinderter Kinder wählen, welche Schule ihr Kind besucht? Wie können Menschen mit Behinderungen mitten in der Gemeinde leben? Wie können mehr barrierefreie Wohnungen geschaffen werden? Wie kann die uneingeschränkte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen gelingen?

Dr. Klaus Mück, Vorstandsmitglied bei ForseA, ist Rollstuhlfahrer und rund um die Uhr auf persönliche Assistenz angewiesen. Unmissverständlich stellte er klar: „Ich brauche keine Betreuung. Was ich brauche ist Assistenz. Ich bestimme, wo es lang geht. Der Nachteilsausgleich ist kein Luxus. Nicht jeder will in einer Wohngemeinschaft oder in einem Wohnheim leben. Die Bedarfe, die wir haben, sind nicht verhandelbar. Jede nicht bewilligte Assistenz, jede weitere Verzögerung geht zu Lasten unserer Lebenszeit. Die Assistenten sind sozial versichert und zahlen Steuern, das darf man nicht vergessen. Wir brauchen bei den Verantwortlichen in der Politik und in den Verwaltungen mehr Bewusstsein für unsere Situation.“ Die Landtagskandidaten hörten genau zu und stellten sich der Diskussion. Thema Schule: Martin Müller (FDP): „Im Mittelpunkt muss die Person stehen, die es betrifft. Klar ist, Inklusion kostet mehr. Wir wollen das Elternwahlrecht stärken. Wir wollen mehr gemeinsamen Unterricht, aber die Sonderschule nicht abschaffen. Doch die Teilhabe behinderter Menschen muss möglich sein.“ Jürgen Walter (Bündnis 90 / DIE GRÜNEN): „Ein Umdenken ist gefordert. Beim gemeinsamen Unterricht müssen wir nur noch diskutieren über das „wie“ nicht über das „ob“. Im Übrigen wurden immer Gemeinschaftsschulen zur „Schule des Jahres“ gewählt. Wir müssen die Sonderschulpflicht abschaffen.“ Claus Schmiedel (SPD): „Gemeinsamer Unterricht geht, aber nicht an jeder Schule. Es kostet nur mehr. Das Geld folgt dem Bedarf. Wir brauchen ein Elternwahlrecht für alle Kinder. Inklusion hat Chancen.“ Klaus Herrmann (CDU): „Wir wollen das bisherige Schulsystem beibehalten und sind für ein eingeschränktes Elternwahlrecht. Dies muss sich dem Wohl des Kindes unterordnen. Die PISA-Studien zeigen, dass die Gemeinschaftsschule gescheitert ist. Wir wollen den gemeinsamen Unterricht schrittweise ausbauen und müssen sehen, was finanziell machbar ist.“ Hans-Jürgen Kemmerle (DIE LINKE): „Wir wollen die Sonderschule in Regelschulen umwandeln. Unser Ziel ist eine integrative Gemeinschaftsschule. Inklusion kostet mehr Geld. Inklusion ist eine Bereicherung. Ich bedauere die Kostendiskussion.“

Antonio Florio, Vorsitzender des Vereins Selbstbestimmt Leben, war mit dem Verlauf der etwas anderen Wahlveranstaltung sehr zufrieden. „Wir Menschen mit Behinderung wollen teilhaben an allen Bereichen. Wir wollen mitreden. Um wählen zu können, müssen wir uns vorher informieren.“ Inklusion = Utopie? Für viele der Zuhörer ist Inklusion die einzige Chance. Der Faktencheck in Ludwigsburg hat sich gelohnt.

Hinweis:
Eindrücke von der Veranstaltung finden Sie in der Rubrik „Zum Reinhören“.


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