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Der Landesverband für Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderung Baden-Württemberg e.V. informiert: |
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Alle inklusive?! - Nur barrierefreie Mobilität ist nachhaltig! | |||
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Stuttgart, 26. April 2023 – Wie kommen wir klimafreundlich von A nach B? Das Land Baden-Württemberg will eine Verkehrswende schaffen, die dem Klima nützt und auch künftigen Generationen eine hohe Lebensqualität sichert. Werden dabei Menschen mit Behinderungen ausreichend einbezogen und deren Bedarfe berücksichtigt? Mobilität ist ein Menschenrecht und Schlüssel zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Das steht in der UN-Behindertenrechtskonvention. Doch viel zu oft werden Menschen mit Behinderungen ausgebremst. Wie kann barrierefreie und nachhaltige Mobilität gelingen? Darum drehte sich alles bei der gemeinsamen Fachtagung des Landesverbandes für Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderung sowie der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Linda Huber von der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart begrüßt alle Tagungsteilnehmer, die in Präsenz in Stuttgart oder online dabei sind
Mobilitätsexpertin Katja Diehl: „Jede und jeder muss ohne Auto mobil sein können! „Jede und jeder muss ohne Auto mobil sein können – barrierefrei und nachhaltig“, sagt die bundesweit bekannte Mobilitätsexpertin Katja Diehl und bringt es damit auf den Punkt. „Damita das gelingt brauchen sie: Alternativen, Barrierefreiheit, Sicherheit, Bezahlbarkeit und Klimafreundlichkeit“. Menschen mit Behinderungen werden vergessen oder übersehen von der Mehrheit. Das rächt sich, denn selbst bei komplett neuer Infrastruktur für die E-Mobilität wird Barrierefreiheit nicht von Anfang an mitgedacht und umgesetzt. E-Ladesäulen werden auf Gehwege gestellt oder mit Poller geschützt vor dem Crash mit einem Auto. Und sind für Menschen im Rollstuhl damit unerreichbar. Andererseits sollte jede und jeder das Recht haben, nicht auf ein eigenes Auto angewiesen zu sein. Menschen mit Behinderungen sowie pflegende Angehörige nutzen – sofern möglich – unterschiedliche Verkehrswege. Sie fahren mit dem Auto, mit Bussen und Bahnen oder sind auch zu Fuß, mit Rollator oder Rollstuhl unterwegs. Doch „Mobilität werde noch in Silos gedacht, die voneinander unabhängig sind.“ Immer wieder höre sie in Gesprächen mit Menschen im Rollstuhl „Der Rollstuhl ist verlässlich – die Bahn nicht. Es gibt keinen ebenerdigen Zugang, es gibt nur ein bis max. zwei Plätze je Zug für Menschen im Rollstuhl und max. eine barrierefreie Toilette, der erforderliche Hublift für den Ein- bzw. Ausstieg ist nur an einer Zugtür vorhanden.“ Dabei müsste eigentlich Busse und Bahnen seit 2022 barrierefrei nutzbar sein. Daher ruft Diehl auf, sich gemeinsam für den Abbau von Barrieren einzusetzen und Dinge voranzubringen. Sandra Olbrich: „Wir brauchen für die Umsetzung von Barrierefreiheit strengere Gesetze und konsequente Ahndung bei bei Verstößen.“ Für Menschen mit einer Gehbehinderung ist das Auto nach wie vor ein wichtiges Mittel für Mobilität. Die Fahrzeuge können auf die individuellen Bedarfe der Person angepasst werden und garantieren ein gesichertes Ankommen, was mit Bus und Bahn aufgrund von fehlender Zugänglichkeit oft nicht gegeben ist. Bei der Umsetzung von mehr Barrierefreiheit in Deutschland fordert Sandra Olbrich vor allem strengere Gesetze, eine konsequente Ahndung bei Verstößen mit empfindlichen Bußgeldern. Von Reisen in die USA weiß die Moderatorin und Journalistin, dass ein Falschparken auf dem Behindertenparkplatz über 1.000 Dollar kostet – und in Deutschland nur 55 Euro. „Das schreckt nicht wirklich ab. Und Leidtragende sind Menschen mit Behinderungen, die dringend auf einen freien Behindertenparkplatz angewiesen sind.“ Olbrich fordert zudem verpflichtende Angaben zur Barrierensituation. Diese Informationen sind entscheidend für behinderte Menschen um einschätzen zu können, ob sie vor Ort selbständig zurechtkommen, ob bestimmte Hilfsmittel, wie zu Beispiel ein Zuggerät, oder ob personelle Unterstützung erforderlich ist. Vor allem muss die Privatwirtschaft endlich mit in die Pflicht genommen werden, Barrierefreiheit vollumfänglich umzusetzen. „Wo ich nicht hinkomme, kann ich nicht teilhaben. Das muss sich ändern“, sagt Dr. Markus Rebstock von der Bundesfachstelle Barrierefreiheit. „Barrierefreiheit muss auch im ländlichen Raum geschaffen werden – und da besteht der größere Nachholbedarf.“ In seinem Vortrag stellte Dr. Rebstock die rechtlichen Grundlagen und technischen Anforderungen der Barrierefreiheit in der Stadtentwicklung vor. Doch die werden im Alltag oft ignoriert, nur teilweise oder auch falsch umgesetzt. Es fehlen stufenlose Wege, Kontraste, Orientierungshilfen für blinde und seheingeschränkte Menschen. „Barrierefreiheit muss integraler Bestandteil der Planung des Straßenraums sein. Es darf keine Grau-in-Grau-Architektur geben.“ „Unsere Tochter genießt den Fahrtwind beim Familienausflug mit dem Fahrrad.“ Das Fahrrad ist für die ehemalige Landesvorsitzende des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC) Gudrun Zühlke das bevorzugte Verkehrsmittel im Alltag und im Urlaub. Damit auch ihre Tochter mit komplexen Behinderungen dabei sein kann, hat die Familie im Laufe der Jahre die unterschiedlichsten Rehabuggy und Lastenfahrräder ausprobiert. „Unsere Tochter genießt die Bewegung und den Fahrtwind.“ Aber: Kreativität ist gefragt, da es keine Hilfsmittel gibt. Aus einem handelsüblichen Vakuumkissen wurde zur individuellen Sitzschale im Radanhänger, damit die Radtour möglich war. Zühlke macht Mut und Lust auf Radfahren. „Anschauen, ausprobieren, nachfragen“ lautet ihr Tipp und empfiehlt den Besuch von Spezialradmessen. Barrieren gibt es dennoch genug wie beispielsweise „Drängelgitter, zu eng stehende Pfosten, selbst aus ausgeschilderten Hauptradwegen führt die Strecke über lange Treppen. Wir brauchen einen systematischen Abbau von Barrieren, ein Routingsystem, das uns absolut sicher nur über barrierefreie Wege leitet sowie bei Einschränkungen genaue Informationen über diese (z.B. max. Steigung und deren Länge, Oberflächenbeschaffenheit).“ Etwa jeder fünfte Weg wird zu Fuß zurückgelegt. Der Gehweg ist eine Verkehrsfläche für Fußgänger, Menschen im Rollstuhlstuhl oder mit Rollator und Kinderwagen. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Parkende Autos, falsch abgestellte E-Scooter und Mülltonnen, Straßenschilder, lose Betonpflaster, wackelnde Gullydeckel oder in den Gehweg ragende Hecken und Büsche behindern das Unterwegssein. „Fehlende Sichtbeziehungen sind Hauptursache für Unfälle“, sagt Bernd Ebert vom Landesseniorenrat Baden-Württemberg. Daraus entstand die Idee zur Mitmachaktion „Geh weg von meinem Gehweg“ anlässlich des „Internationalen Tags der älteren Generation“. Sein Tipp: „Wir müssen das Umdenken anregen.Aktionsgruppe gründen, gemeinsame Begehung des Ortes mit den Verantwortlichen, damit Barrieren erkannt und abgeschafft werden können.“ „Ich will nach Gönningen und fahre mit dem Tulpen-Bus.“ „Ich will mit dem Bus von Reutlingen nach Gönningen und nehme den Tulpen-Bus.“ Das klingt ungewohnt. Im Reutlinger Stadtverkehr gibt es seit über 15 Jahren Orientierungshilfen für Busse, die allen weiterhilft. Reutlingens Behindertenbeauftragter Michael Embery erläutert die Grundidee: „jede Buslinie bekommt zusätzlich ein Symbol, das einprägsam ist und das Ziel darstellt. Und daher fährt nach Gönningen der Tulpen-Bus.“ Gemeinsam mit dem Inklusionsbeirat und dem Busunternehmen entstand die Idee, die ständig weiterentwickelt wird. „Es ist ein anerkanntes System entstanden, das allen nützt und das überall leicht in bestehende Strukturen übernommen werden kann.“ „Wie barrierefrei sind die Rastplätze in Baden-Württemberg?“ war eine Frage der Clubinitiative des Automobilclubs Europa (ACE) 2022 „Deutschland, Deine Rastplätze“. Regionalbeauftragter Elias Schempf stellt die Ergebnisse vor, die auch in die wheelmap eingetragen wurden. Das Kriterium Barrierefreiheit erfüllten nur 77 Prozent (Bundesdurchschnitt 87 Prozent). Fehlende barrierefreie Toiletten und Parkplätze waren die Hauptmängel. An manchen Rastplätzen waren monatelang die barrierefreien Toiletten geschlossen. Das geht gar nicht.“ Schempps Tipp: „Aktiv werden, Verbündete suchen, gemeinsam mit den Verantwortlichen auf die Dringlichkeit des Problems hinweisen, Lösungen suchen.“ „Inklusion endet nicht hinter dem Steuer“ sagt Mathias Haimerl. Der Doktorand an der TH Ingolstadt forscht im Bereich Inklusion im autonomen Verkehr. Bislang ziele die Forschung auf die „Standardnutzer, die auch marktrelevant sind“. Haimerl hat festgestellt, dass die für Studien üblicherweise genutzten Standardfragekataloge nicht geeignet sind für Menschen mit Behinderungen. Die Fragebögen sind zu lang, nicht barrierefrei. „Forschung muss lernen, barrierefrei und inklusiv zu werden. Dazu müssen Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen einbezogen werden.“ v.i.S.d.P: Jutta Pagel-Steidl, Geschäftsführerin | |||
Quelle: www.lv-koerperbehinderte-bw.de/n/c1-0.php Datum: 21.11.2024 / 18.51 Uhr |
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